Landesbischof schreibt an Kirchengemeinden

"Hinter uns liegt eine politische Woche, in der unsere parlamentarische Kultur Schaden genommen hat. Wir haben die Debatten im Parlament verfolgt oder sie in Ausschnitten zur Kenntnis genommen.
Vorwürfe aller Parteien an den politischen Gegner verloren das Maß, wahltaktische Argumentationen dominierten. Die zentrale Sachfrage „Einwanderung“ wurde für den politischen Vorteil instrumentalisiert. Im Bundestag eine Stimmenmehrheit auf diesem Weg billigend in Kauf zu nehmen, um Lösungen für eine veränderte Einwanderungspolitik zu erzielen, ist im aktuellen Wahlkampf nicht hilfreich. Es erschwert alle Möglichkeiten für einen sachgerechten, demokratischen Konsens.
Die Herausforderungen für unser Land sind groß. Sie können nur in einem Konsens der demokratischen Parteien gelöst werden. Die Möglichkeiten dafür sind durch diese Woche für die kommende Bundesregierung nicht leichter geworden.
So frage ich mich: Was wird in diesen Wochen die Rolle der Kirche sein?
Drei Dinge scheinen mir notwendig, die wir – unabhängig von unseren persönlichen parteipolitischen Neigungen – als Christ*innen verantwortlich tun sollten.
Zum Ersten müssen wir fortwährend auf die Grundlagen unseres politischen Gemeinwesens hinweisen. Das tun viele unserer Gemeinden bereits sichtbar mit ihrem Engagement für Menschenwürde, Nächstenliebe, Zusammenhalt. Das sind drei Begriffe, die wir vor jede politische Auseinandersetzung stellen. Diese Haltungen haben in den Augen vieler Christ*innen auch Auswirkungen auf unseren persönlichen und gesellschaftlichen Umgang mit geflohenen Menschen. Zusammenhalt ist keine neutrale Angelegenheit, sondern geschieht in unserem Land nur dann sachgerecht, wenn sie das Miteinander im Geist der Nächstenliebe gestaltet und die Würde jedes Menschen achtet.
Zum Zweiten: Wir beten für die Menschen, die politische Verantwortung übernommen haben. Wir bitten um ihre Klugheit und Kompromissfähigkeit, um ihre Besonnenheit und Menschenfreundlichkeit. Im Psalm 97, der für diesen letzten Sonntag der Weihnachtszeit vorgesehen ist, geht es um die Gerechtigkeit und das Recht, die Gott zugeschrieben werden und die unsere Verpflichtung bleiben.
Zum Dritten: Ich bitte Sie, nutzen Sie alle Ihre Kontakte zu Menschen in der Bundes- und Landespolitik. Suchen Sie das Gespräch. Laden Sie sie ein. Weisen Sie auf die gemeinsame Verantwortung hin, die wir in unserer Demokratie von ihnen in den Parlamenten erwarten. Unterstützen Sie ihre Anliegen und geben Sie Raum in ihren Kirchen und Gemeindehäusern für einen sachgerechten und fairen Dialog auch zwischen widerstreitenden Positionen.
Ich weiß um Ihren engagierten Dienst und danke Ihnen von Herzen, dass Sie mit Ihrem Denken und Handeln, Ihren Gebeten und Ihrer glaubwürdigen Haltung nicht nur der Kirche, sondern unserem politischen Gemeinwesen und der Demokratie dienen.
Gott behüte Sie!
Ihr
Ralf Meister
Landesbischof der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers