"Ich kann verstehen, dass du so denkst "
Was bleibt - nach 35 Jahren als Gemeindepastor im ländlichen Raum, in der Stadt, in einer Stadtrandgemeinde und in einer Leitungsfunktion als Superintendent? Am Reformationstag wird Hannes Meyer-ten Thoren von Regionalbischof Friedrich Selter in den Ruhestand verabschiedet. Wo lagen seine „Anfänge im Glauben“? Welcher Bibelvers hat ihn begleitet und warum? Wo sieht er den „Silberstreif“ am Horizont und wovon rät er ab? Schließlich: was bedeutet der Ruhestand für ihn?
Für ihren Zukunftsprozesses hat die Landeskirche Hannovers das Schwerpunktthema „Anfänge im Glauben“ definiert. Wo liegen diese Anfänge bei Ihnen?
„Meine Anfänge im Glauben liegen im Elternhaus, das zwar nicht übermäßig kirchlich, aber offen gegenüber der Kirche war. Es gab den kirchlichen Kindergarten, Jungschar Kinderfreizeit, Konfi-Unterricht - das klassische Programm. Es gab aber auch Zweifel - nach dem plötzlichen Tod einer Freundin. Das war eine handfeste Glaubenskrise, die mich eine Zeit lang von der Kirche entfernt hat, auch in Kombination mit kritischen Texten u.a. von Feuerbach, mit denen wir uns in der Oberstufe auseinandergesetzt haben. „Wie kann Gott mir das Liebste nehmen? Warum geschieht so viel Leid?“ Ich habe mich damals an den jungen Pastor meiner Gemeinde gewandt. Seine schlichte Reaktion – „ich kann verstehen, dass du so denkst“ – wurde mir zum Türöffner zurück in die Kirche.“
Es folgte eine lebendige Phase der offenen Jugendarbeit, erste Umweltprojekte, Nähe zu der frisch gegründeten Partei der Grünen. Die Berufsidee Diakon lag nahe. Am Ende entschied sich Hannes Meyer-ten Thoren doch für die „Volltheologie“ ab Sommer 1980 in Bethel/Bielefeld. Prägende Theologen waren für ihn Rudolf Bultmann und Paul Tillich. Meyer-ten Thoren war fasziniert von dem „Raum zwischen Philosophie und Theologie“, von der Weite der Begrifflichkeit des Theologen Paul Tillich. „Seine Sprache und seine philosophisch geprägten Begriffe machten für mich die biblische Sprache fassbarer“.
Welcher biblische Spruch hat Sie im Leben begleitet und was bedeutet er für Sie?
„Behalte, was du hast, damit niemand deine Krone nehme“ (Off.3). Es ist mein Konfirmationsspruch, der einem damals noch durch den Pastor zugewiesen wurde. Die Krone ist ja eigentlich ein königlicher Begriff, sie hat für mich aber nichts mit Macht zu tun. In der Krone drückt sich für mich die Würde aus, die daher rührt, dass du geliebt bist. Sie hat auch etwas Versprochenes, das über das Leben hinausweist. An diesen Spruch habe ich immer gedacht, wenn ich in der Kritik stand in meiner Rolle, wegen meiner Entscheidungen oder meiner Haltung. Das kam öfter vor, auch schon relativ früh. Es war mal meine erklärt positive Haltung zum Zivildienst, ein anders Mal ging es um den Abriss eines alten Pfarrhauses. In solchen Situationen habe ich mich an meinen Konfirmationsspruch gehalten und gemerkt, ich kann das aushalten.“
Gab es Phasen des Zweifelns in Ihrem Leben?
„Abgesehen von der frühen Phase in meiner Jugend - ganz klar im Studium. Da habe ich mich immer wieder gefragt, ist das der richtige Weg? Vor allem, als ich die alten Sprachen lernen musste. Das war mühsam. Ich habe mich dann bewusst für’s Durchziehen entschieden, und sobald die Sprachen nicht mehr gedrückt haben, hat das Studium Spaß gemacht, es war klar die richtige Entscheidung.“
Wie sieht es mit dem Selbstverständnis als Pastor nach all den Jahren aus - hat sich das verändert?
Auf jeden Fall findet Hannes Meyer- ten Thoren. Als junger Pastor habe er alles Mögliche verändern wollen, ohne an die Menschen zu denken, die mitgenommen werden wollen. „Die ältere Generation in meiner ersten Gemeinde hat mich gelehrt, behutsamer vorzugehen, zu überzeugen und allen zuzuhören. Und dennoch war für mich der Impuls seit dem Studium, Kirche zu verändern, das ist bis zum Schluss geblieben. Als Pastor bin ich diesem Impuls immer gefolgt. Zu Veränderungen gehören manchmal auch Konflikte. Diese Konflikte auszutragen, offen und transparent, das war mir immer ein wichtiges Anliegen, dafür habe ich mich eingesetzt. Klar gelingt das nicht immer, auch nicht immer gut, manche sind schwer zu lösen und manchmal muss man sich auch trennen. Aber ich kann sagen, dass ich keine Angst vor Konflikten habe.“
Nach 35 Jahren - würden Sie noch einmal den Beruf des Pastors wählen?
„Ja, weil dieser Beruf eine große Freiheit hat, mit den eigenen Gaben und Persönlichkeit Dinge zu gestalten, mit anderen Menschen Dinge zu bewegen. Ich freue mich immer wieder über die vielen Ideen, die Power, die Kreativität und die Motivation. All die gute Energie, die Menschen zusammenführt, um neue Wege zu gehen und Kirche weiterzudenken. Das ist ein großer Schatz. Meine Aufgabe sehe ich darin, diese Energie, die in der Botschaft des Evangeliums steckt, weiterzugeben: also Sinn, Kraft, Zuversicht und Mut.“
Wie würden Sie jemandem der keinen Bezug und keine Erfahrung mit Kirche hat, erklären warum sie in diesem “Verein“ sind und für ihn arbeiten?
„Ich bin in dem „Verein“, um es mal so flapsig zu sagen, weil ich glaube, dass ich religiös musikalisch bin. Deshalb würde ich mit einer Person, die keine Erfahrung mit Kirche hat, darüber reden, was ihr im Leben wichtig ist, was für sie Sinn ergibt, was sie quält und was ihr Trost gibt. Ich würde ihr sagen, dass ich in dem „Verein“ bin, weil ich die Gemeinschaft stiftenden Rituale mag, weil ich versuchen will, diese Rituale so umzuformen, dass sich die Menschen darin wiederfinden und angesprochen fühlen.“
Wenn Sie an Ihren Abschied denken - macht Sie etwas traurig?
„Ein bisschen traurig macht es mich schon, weil ich weiß, dass ich einige Menschen vermissen werde, mit denen ich eng zusammengearbeitet habe. Es wird ungewohnt sein, nicht mehr gefragt zu werden, nicht mehr wichtig zu sein, vermute ich. Aber ich freue mich zugleich darüber, die Verantwortung abgeben zu dürfen an Jüngere. Das wird gelingen und es wird gut werden - das ist meine Erfahrung mit Kirche. Menschen, die sich nicht nur selbst als Macher oder Macherin sehen, sondern die sich als Ermöglicher*in verstehen, sind ein Gewinn für die Kirche. Menschen, die anderen Raum geben und ihnen vertrauen. Solche Menschen sorgen mit anderen zusammen für eine andere Kirche, eine Kirche mit Zukunft.“
Welchen Tipp geben Sie Ihren Kolleginnen mit auf den Weg?
„Den eigenen Glauben nicht absolut setzen, niemandem die eigene Deutung aufdrücken und keine einfachen Antworten geben.“
Haben Sie Angst vor dem berühmten „Loch“ im Ruhestand?
„Nein, denn ich möchte im nächsten Jahr nochmal Marathon laufen in Berlin und werde dafür ab November trainieren. Außerdem will ich konsequent ein halbes Jahr pausieren und mal schauen, was das mit mir macht. Kurz vor Ostern 2026 sind die sechs Monate dann rum, ich habe die Zusage für Passionsandachten in der Marienkirche in Melle-Oldendorf schon gegeben. Und ich weiß jetzt schon, dass ich mich darauf freue.“
(Brigitte Neuhaus)